Politische Entscheidungsprozesse sind oft langwierig und hinken gesellschaftlichen, ökonomischen und technologischen Entwicklungen mehr und mehr hinterher. Ein grundlegender Change-Prozess in einem Unternehmen dauert in der Regel zwischen vier und fünf Jahren – in etwa so lange wie eine politische Legislaturperiode. Eine Zeit, in der in Unternehmen erst eine Idee erarbeitet, umgesetzt, manifestiert und evaluiert wird. In der Politik reicht eine Legislaturperiode häufig nur für die Umsetzung eines überschaubaren Teils der angekündigten Vorhaben. Und – werden Zielvereinbarungen gerissen, bleibt es in der Privatwirtschaft – anders als in der Politik – nur selten ohne personelle Konsequenzen. Darüber ob und ggf. was die Politik von den Unternehmen lernen kann haben wir uns mit dem Vorstandsvorsitzenden des Senats der Wirtschaft, Dr. Christoph Brüssel, unterhalten.
DEKOM: Herr Dr. Brüssel, sind Wähler mit ihren Volksvertretern nachsichtiger und geduldiger als Aufsichtsräte mit ihren Vorständen?
Dr. Brüssel: Die Prozesse in Aufsichtsräten und bei den Wählern, unterscheiden sich natürlich diametral. Aufsichtsräte haben eine andere Aufgabenstellung und damit auch eine andere Blickrichtung. Aufsichtsräte sind auch nicht Millionen eigener Meinungen, sondern zwischen drei und 21 Personen. Alleine deshalb ergibt sich ein völlig anderer Ansatz. Aber es zeigt auch, wie unterschiedlich die Systeme zwischen Wirtschaft und Politik sind. Alleine das zu kritisieren, ist nicht geboten, die Unterschiedlichkeit annehmen und daraus die richtigen Schlüsse ziehen, um Lösungsansätze zu finden, das ist unter anderem die Zielsetzung des Senats der Wirtschaft.
DEKOM: Bräuchte es in der Politik ähnliche Verantwortungsstrukturen wie in Unternehmen?
Dr. Brüssel: Die Kompetenz und die Expertise aus Wirtschaft und Wissenschaft in das politische System einzubringen, ohne den Zwang, zu Mandaten oder Mitgliedschaft in politischen Parteien zu haben, das ist unser Ansatz. Dabei nehmen wir die systematischen Unterschiede an und versuchen Sie durch Akzeptanz, durch gute Impulse im Sinne des Gemeinwohls ohne Einzelinteressen zu promoten, aufzugreifen.
DEKOM: Ließen sich – und ggf. wie – entsprechende Strukturen von der Unternehmens- auf die politische Ebene übertragen?
Dr. Brüssel: Es ist sicher interessant und hilfreich, über zielgerichtete Managementstrukturen auch in der Politik nachzudenken. Teilweise wird das von politischen Akteuren auch so angestrebt. Überwiegend jedoch bleiben die Unterschiede, die durch demokratische Prozesse bestimmend sind. Wir als Gesellschaft wollen, dass in der Politik jeder das Recht hat mitzusprechen. Wir wollen auch die sehr unterschiedlichen Denkansätze oder Perspektiven mit in Entscheidungen einbeziehen. Nur so kann eine Gesellschaft von 82 Millionen Menschen auf Dauer mehrheitlich in Zufriedenheit leben. Wir wollen keine autoritären Entscheidungsstruktur, sondern die Vielfalt der Demokratie auch möglich werden lassen. Das aber führt immer wieder zu langen Entscheidungsprozessen und oft leider auch zu Abweichungen von einer streng zielorientierten Linie. Daher entstehen viel Unzufriedenheit und auch Unverständnis. Gefährlich ist es, wenn Parteipolitik oder Ideologie die Entscheidungen übermäßig beeinflussen und Expertise nachrangig hinter Ideologie zurückstehen muss. Das hat gerade in den letzten zwei Jahren zu einem enormen Akzeptanzproblem geführt und zeigt deutlich, dass ideologische Zielsetzungen nicht immer im Sinne gesellschaftlicher Realitäten sind.
DEKOM: Unternehmen überprüfen und hinterfragen ihre Strategien permanent und nehmen bei Kursabweichungen direkt Korrekturen vor. Der Politikbetrieb scheint dagegen viel behäbiger und dogmatischer. Wie könnte die Politik diese unternehmerischen Prinzipien übernehmen, um Projekte schneller und erfolgreicher umzusetzen?
Dr. Brüssel: Die klaren Unternehmensstrukturen im Management könnten teilweise tatsächlich in der Politik zu einer besseren Zielorientierung, möglicherweise auch zu einer größeren Akzeptanz durch die Gesellschaft führen. Garantiert ist das nicht. Nicht immer werden in Unternehmen die Entscheidungen auch von einer Mehrheit der Betroffenen akzeptiert, das ist unabhängig davon, ob sie richtig oder falsch sind. Unternehmen sind jedoch keine demokratischen Organisationen, in der Politik allerdings ist die Akzeptanz ein ganz wesentlicher Punkt. Nur durch Mitwirken und Anerkennung in der Gesellschaft, wird eine Entscheidung dann wirklich auch umgesetzt. Nicht alle Entscheidungen können durch Strafrecht oder Finanzamt vollzogen werden, sondern brauchen die Mitwirkung der Gesellschaft. Dennoch sollte eine ständige Überprüfung der getroffenen Entscheidungen und eine flexible Reaktion auf die Folgen von Entscheidungen möglich werden. Das würde ohne Zweifel zumindest die Wahrnehmung von zielorientierter Politik verbessern. Dazu bedarf es aber nicht nur eines Veränderungsprozess innerhalb der politischen Instanzen, es bedarf auch einer Akzeptanz in der Gesellschaft. Wir als Gesellschaft müssen gelegentlich politischen Instanzen eine Fehlerkultur gestatten. Nur so kann der Mut zu fachgerechten Entscheidungen auch wachsen und im Übrigen auch die Flexibilität bei Entscheidungen oder der Umsetzung von politischen Zielen verbessert werden. Politik ist keine Einbahnstraße, Politik ist die Regelung der eigenen Angelegenheiten aus Sicht jedes einzelnen und aus Sicht der Gesellschaft.
DEKOM: Unternehmen beschäftigen Experten. IT-Spezialisten arbeiten in den IT-Abteilungen – Vertriebsspezialisten im Verkauf. In der Politik verantworten Lehrer schon mal den Straßenbaubereich oder Germanisten das Wirtschaftsressort. Braucht es mehr (Fach-) Expertise in der Politik?
Dr. Brüssel: Mangelnde Expertise in Fachbereichen. Bei politischen Instanzen wird möglicherweise schon so lange beklagt, wie es politische Instanzen überhaupt gibt. Das demokratische Prinzip, das Prinzip der Volksvertreterinnen und Volksvertreter führt logischerweise dazu, dass nicht nur die Experten in Parlamente kommen. Das wiederum bedingt auch das Regierungen nicht von Fach – Persönlichkeiten, sondern politischen Persönlichkeiten besetzt sind. Es schließt allerdings nicht aus, dass Expertinnen und Experten auch in der Politik sind und auch in Ausschüssen und in Regierungen in ihrer Disziplin Verantwortung tragen. Die Expertise eines Ministers muss nicht unbedingt zur Zufriedenheit der Betroffenen führen. Das bedeutet mehr Expertinnen und Experten in der Politik ja, aber wir bleiben bei dem Prinzip der Volksvertretung.
DEKOM: Braucht es für mehr Unternehmergeist- und Unternehmenskultur mehr Unternehmer in der Politik?
Dr. Brüssel: Die Empfehlung ist Expertin und Experten zu motivieren, sich politisch zu engagieren. Gleichzeitig muss die Gesellschaft darüber nachdenken, ob die Bedingungen denn die richtigen sind. Können Experten werden Experten in der Politik bezahlt und akzeptiert die Gesellschaft auch eine Bezahlung hoch qualifizierter Leute. Es ist für den Senat der Wirtschaft Deutschland eine Kernkompetenz, die Brücke darzustellen. Expertinnen und Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft wirken beim Senat der Wirtschaft im Sinne des Gemeinwohls an Lösungsansätzen für die großen Herausforderungen unserer Zeit mit. Die daraus entstehenden Impulse bringen wir im Dialog und ohne Forderungen zu stellen, an politische Entscheidungsträger. Das funktioniert besonders gut, wenn keine Schlagzeile gesucht wird, sondern ein uneigennütziger Dialog zwischen dem Senat der Wirtschaft und Entscheidungsträgern der Politik erfolgt. Seit 15 Jahren ein Erfolgsmodell.
Vielen Dank!
Über den Senat der Wirtschaft
Der Senat der Wirtschaft lässt den alten und zugleich modernen Gedanken des Senats in der Antike wieder aufleben. Als Ältestenrat gehörten ihm stets bedeutende und anerkannte Personen an. Diesem Vorbild folgend, vereinigt der Senat der Wirtschaft Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik, Medien und Kultur. Gemeinsam wollen diese die Entscheider in Politik und Wirtschaft beraten und unterstützen. Zielsetzung des Wirkens des Senats der Wirtschaft ist die Förderung einer ökologischen und sozialen Marktwirtschaft. Im Fokus liegen dabei im Besonderen unternehmerische Verantwortung, werteorientierte Unternehmensführung und die Unterstützung von gemeinwohlorientierter Politik. Daraus folgt unser Leitsatz „Wirtschaft für Menschen“. Unsere Mitglieder sind die Botschafter des Senats der Wirtschaft. Sie tragen durch ihre persönliche Mitgliedschaft dazu bei, die Ziele des Senats im Dialog mit Entscheidungsträgern umzusetzen. (DEKOM, 21.10.2024) Ganzer Artikel hier…