Grüner Strom zieht Firmen an

Die Energieversorgung ist – vor allem für die Industrie – seit jeher ein relevanter Standortfaktor. Eine neue IW-Studie zeigt nun, dass Unternehmen den erneuerbaren Energien ins Ausland hinterherziehen könnten – dies gilt insbesondere für Betriebe der Grundstoffindustrie. Hauptsache viel und Hauptsache billig: Dieses Credo gilt auch für Firmen bei der Wahl ihres Standorts, wenn es um die Energieversorgung geht – neben einer stabilen und ausfallfreien Verfügbarkeit von Strom. Das zeigen neue Daten aus dem IW-Zukunftspanel:

Im Jahr 2023 sahen knapp 77 Prozent der befragten Unternehmen der Grundstoffindustrie und mehr als 73 Prozent der Firmen aus den anderen Branchen des Verarbeitenden Gewerbes die Energieversorgung als „eher wichtigen“ oder „sehr wichtigen“ Standortfaktor.

Dass der Wert für die Grundstoffindustrie noch einmal höher liegt, ist verständlich, versammeln sich dort doch besonders energieintensive Unternehmen wie jene der Metallerzeugung und -verarbeitung und der chemischen Industrie.

Die Versorgung mit grüner Energie ist mittlerweile zwar ein wichtiger Standortfaktor, der Firmen ins Ausland schielen lässt; gleichwohl gibt es nach wie vor gute Gründe für Deutschland – die gilt es zu stärken.

Innerhalb Deutschlands führt das bereits dazu, dass Firmen den Norden der Republik in den Blick nehmen (siehe „Ziehen die Unternehmen dem grünen Strom hinterher?“). Denn die Betriebe sehen die küstennahen Regionen in der künftigen Energieversorgung vorn, während Süddeutschland schlecht wegkommt.

Mehr als ein Drittel der befragten Firmen der Grundstoffindustrie geht davon aus, dass Lieferanten energieintensiver Vorprodukte ihr Heil im Ausland suchen werden, weil dort erneuerbare Energien besser und damit günstiger verfügbar sind.

Im sonstigen Verarbeitenden Gewerbe teilt diese Einschätzung noch ein Viertel der Firmen.

Die Erkenntnisse der Panel-Auswertung hat das Institut der deutschen Wirtschaft als Teil des wissenschaftlichen Netzwerks SCI4climate.NRW auf Grundlage von zehn qualitativen Interviews mit Firmenlenkern nun noch einmal untermauert:

Der Sogeffekt, den Regionen mit viel günstigem grünen Strom im Ausland auf Betriebe haben, dürfte in den kommenden Jahren zunehmen.

Gleichwohl gibt es andererseits aber noch immer Gründe, die dem „Renewables Pull“ – also der Anziehungskraft jener ausländischen Regionen mit viel erneuerbarer Energie – entgegenstehen.

So wies ein Interviewpartner darauf hin, dass alleine mit Solar- und Windenergie keine grundlastfähige, also durchgängig verlässliche Stromversorgung gewährleistet ist. Das Gesamtbild ergänzt, dass einige Firmen immer mehr aufs Recycling setzen – was ihren Energiebedarf senkt, wodurch der Standortfaktor unwichtiger wird.

Zudem schätzen die Unternehmen noch immer die zentrale Lage Deutschlands auf dem europäischen Kontinent sowie die etablierte und vielerorts eng verflochtene Industrieinfrastruktur

Hinzu kommt nach Einschätzung der befragten Firmenlenker, dass in der Bundesrepublik trotz des demografischen Wandels nach wie vor oft noch qualifizierte Fachkräfte verfügbar sind.

Wegen dieses differenzierten Gesamtbilds sollte die heimische Politik drei Herausforderungen mit Nachdruck angehen, um den Standort Deutschland attraktiv zu halten und um zu verhindern, dass Firmen billigem grünen Strom ins Ausland folgen:

1. Die Politik muss die Energiewende schnellstmöglich umsetzen, damit es hierzulande eine zugleich klimafreundliche und günstige Energieversorgung gibt. Dazu gehört den Befragten zufolge unter anderem, dass verschiedene technologische Ansätze genutzt werden dürfen – Wasserstoff zum Beispiel oder das Abscheiden von Kohlendioxid.

2. Bestehende Stärken Deutschlands müssen von den jeweils zuständigen staatlichen Ebenen erhalten und ausgebaut werden, beispielsweise die (Verkehrs-)Infrastruktur. Es geht aber auch darum, den Firmen Planungssicherheit zu bieten, statt politische Rahmenbedingungen ständig zu revidieren. Sichergestellt werden sollte auch, dass weiterhin qualifiziertes Personal verfügbar ist – einerseits über das Bildungssystem, andererseits mithilfe passgenauer Zuwanderung.

3. Deutschland sollte außerdem stärker mit internationalen Partnern kooperieren, einerseits innerhalb Europas, andererseits aber beispielsweise auch in der sogenannten MENA-Region (Middle East and North Africa), um sowohl dortige Kostenvorteile bei erneuerbaren Energien als auch bereits bestehende Transportinfrastrukturen vor Ort zu nutzen. So kann unter anderem Wasserstoff aus Staaten näher am Äquator importiert werden, die das Element mit geringem Aufwand dank nahezu unerschöpflicher Sonnenenergie isolieren können. Hierfür wäre dann aber auch ein entsprechender Transport mit Schiffen oder Pipelines Richtung Deutschland zu bewerkstelligen.

IWD, 28.11.2024

Cookie Consent mit Real Cookie Banner