Seit dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien ist eine intensive Diskussion über die mögliche Rückkehr der knapp eine Million Syrer in Deutschland entbrannt.
Die vornehmlich durch Fluchtmigration nach Deutschland gelangten Menschen sind zum Teil gut in den Arbeitsmarkt integriert. Für diese Personen sollte, unabhängig von der weiteren humanitären Bewertung, eine sichere Bleibeperspektive geschaffen werden.
Zahl und Aufenthaltsstatus von Syrern
Derzeit leben knapp eine Million Menschen mit syrischer Nationalität in Deutschland. Die meisten von ihnen – knapp 330.000 Personen – genießen laut Bundesinnenministerium einen „subsidiären Schutz“, weil ihnen in Syrien ernsthafter Schaden droht. Weitere gut 320.000 Menschen erhalten Flüchtlingsschutz nach der Genfer Konvention, weil sie aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, politischen Überzeugung oder Religion in Syrien verfolgt werden könnten. Die übrigen Syrer hatten andere Aufenthaltstitel, etwa durch Familiennachzug bei Kindern. Beide Hauptgruppen haben eine Aufenthaltserlaubnis für maximal drei Jahre und unbeschränkten Arbeitsmarktzugang. Ende 2023 waren gut 577.000 Syrer zwischen 20 und 65 Jahre alt und damit im erwerbsfähigen Alter.
Die Beschäftigungssituation von Syrern
Die Integration von Geflüchteten in Gesellschaft und Arbeitsmarkt braucht meist Zeit zum Spracherwerb und zur Qualifizierung, etwa zur Nachqualifizierung für eine Approbation bei Ärzten. Gut 155.000 Syrer sind aktuell arbeitslos gemeldet und stehen dem Arbeitsmarkt unmittelbar zur Verfügung. Zwischen Juni 2023 und Mai 2024 waren laut einer Sonderauswertung der BA 213.589 Syrer sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Zwar arbeiten gut 86.000 von ihnen in Helfertätigkeiten, etwa in der Lagerwirtschaft, der Reinigung oder im Verkauf, aber etwa 127.000 also die Mehrheit in qualifizierten Jobs für Fachkräfte mit Berufsausbildung oder Studium. Knapp 80.000 von diesen waren in sogenannten Engpassberufen tätig, in denen Stellen besonders schwierig zu besetzen sind. Die meisten waren als Fachkraft beschäftigt, also in Tätigkeiten, die in der Regel eine abgeschlossene Berufsausbildung erfordern. Damit tragen syrische Beschäftigte in nennenswertem Umfang dazu bei, den Fachkräftemangel in Deutschland abzufedern. Unter den Engpassberufen mit besonders starken Besetzungsschwierigkeiten, in denen viele syrische Fachkräfte arbeiten, sind auffallend viele Sozial- und Gesundheitsberufe sowie klimarelevante Handwerksberufe.
Handwerksberufe für die Transformation
Die meisten syrischen Fachkräfte in Berufen mit starken Engpässen arbeiten in der Kraftfahrzeugtechnik. Zwischen Juni 2023 und Mai 2024 waren hier durchschnittlich gut 4.000 sozialversicherungspflichtigbeschäftigte Syrer tätig. Zeitgleich fehlten hier im selben Zeitraum 16.281 Fachkräfte, sodass fast sieben von zehn offenen Stellen rein rechnerisch nicht besetzt werden konnten, weil passend qualifizierte Fachkräfte fehlten.
Ebenfalls wichtig sind syrische Fachkräfte in klimarelevanten Berufen wie Bauelektrik, Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, Metallbau sowie der elektrischen Betriebstechnik. Fachkräfte der Bauelektrik sind beispielsweise das Nadelöhr für den Ausbau erneuerbarer Energien. Hier konnten zuletzt acht von zehn offenen Stellen nicht besetzt werden, weil bundesweit mehr als 18.000 Fachkräfte fehlten.
Sozial- und Gesundheitsberufe
In fünf Gesundheits- und Sozialberufen, die aktuell besonders vom Fachkräftemangel betroffen sind, arbeiten ebenfalls viele Syrer. Dazu zählen Zahnmedizinische Fachangestellte, die Gesundheits- und Krankenpflege, die Kinderbetreuung und -erziehung, die Sozialarbeit und Sozialpädagogik sowie die Altenpflege. Beispielsweise in der Gesundheits- und Krankenpflege, wo zuletzt mehr als sieben von zehn offenen Stellen rechnerisch nicht besetzt werden konnten, weil knapp 17.000 Fachkräfte fehlten, arbeiteten 2.157 syrische Fachkräfte.
Zwar tauchen syrische Ärzte nicht unter den TOP 10-Engpassberufen auf, werden aber alle Fachrichtungen aufsummiert, waren im Betrachtungszeitraum rund 5.300 Syrer als angestellte Ärzte tätig. Ihre Rückkehr würde den Fachkräftemangel unter Ärzten verschärfen und zu Versorgungsengpässen führen. Syrer nehmen im Gesundheits- und Sozialwesen wichtige versorgungsrelevante Aufgaben in Deutschland wahr.
Berufliche Anerkennung hilft beim Arbeitsmarktzugang
Viele Syrer haben berufliche Qualifikationen aus dem Ausland mitgebracht, die in Deutschland anerkennt werden können. Dies ist notwendig in reglementierten Berufen, in denen eine staatliche Zulassung Voraussetzung für die Ausübung des Berufs ist. Syrer haben hier die meisten Anträge gestellt; alleine im Jahr 2023 waren es 1.293 Anträge zum Referenzberuf Arzt und 318 Anträge zum Referenzberuf Zahnarzt. Die meisten erhalten eine volle Gleichwertigkeit und damit den Arbeitsmarktzugang, viele müssen zunächst eine Ausgleichsmaßnahme absolvieren, um das deutsche Qualifikationsniveau zu erreichen.
Über die nicht reglementierten Aus- und Fortbildungsberufe sowie das Berufsbildungssystem Syriens, stellt das BQ-Portal umfangreiche Informationen zur Verfügung. In der Datenbank befinden sich bereits über 130 Berufsprofile, mit denen Unternehmen die Qualifikationen einschätzen können, etwa auch die Engpassberufe Kfz-Mechaniker oder Kälte- und Klimatechniker.
Jung und gut ausgebildet
Mit einem Durchschnittsalter von 26,2 Jahren ist die syrische Bevölkerung im Vergleich zur Gesamtbevölkerung Deutschlands (44,6 Jahre) besonders jung. Vor dem Hintergrund des fortschreitenden demografischen Wandels und dem damit verbundenen Rückgang des inländischen Erwerbspersonenpotenzials, ist die Verjüngung des deutschen Arbeitsmarkts durch die syrische Bevölkerung besonders wertvoll. Viele der jungen Zugewanderten münden zudem in den Ausbildungsmarkt und bildeten bereits 2019 die größte Gruppe nicht deutscher Auszubildender. Damit tragen sie signifikant zur Kompensation des Rückgangs deutscher Ausbildungsanfänger bei.
Zusätzlich ist zu beachten, dass zwischen 2015 und 2023 bereits rund 160.000 Syrer eingebürgert wurden und somit aktuell in der Beschäftigungsstatistik mit ihrer deutschen Staatsangehörigkeit erfasst werden. Damit ist die Relevanz der seit 2015 nach Deutschland eingewanderten Syrer für die Fachkräftesicherung deutlich höher als mit den vorliegenden Statistiken abgebildet werden kann.
Fazit
In der aktuellen Diskussion über eine mögliche Heimkehr der in Deutschland lebenden Syrer wird der Beitrag, den syrische Fachkräfte hierzulande leisten, oftmals unterschätzt. Die über Jahre mühsam erbrachte Integrationsleistung vieler Syrer und der deutschen Unternehmen sollte wertschätzend anerkannt werden. Um sowohl Unternehmen als auch den Beschäftigten Planungssicherheit zu geben, sollte die Politik erwerbstätigen Syrern eine sichere Bleibeperspektive bieten, auch dann, wenn etwa der subsidiäre Schutzstatus enden sollte. Denn angesichts der demografischen Entwicklung werden die Fachkräfte in den Engpassberufen künftig noch stärker gefragt sein. IW Köln, 18.12.2024