Mit der neuen EU-Kommunalabwasserrichtlinie müssen Kläranlagen bis 2045 teilweise mit einer Viertbehandlung zur Reduzierung von Spurenstoffen ausgestattet werden. Durch die in der EU-Richtlinie enthaltenen Anforderungen zur Reduzierung von Spurenstoffen werden in Deutschland bis 2045 etwas über 150 Anlagen mit einer Ausbaugröße von mehr als 150.000 Einwohnerwerten (EW) zum Ausbau einer sogenannten vierten Reinigungsstufe verpflichtet. Weitere Anlagen müssen ertüchtigt werden, wenn sie zwischen 10.000 und 150.000 EW liegen und innerhalb noch zu definierender Risikogebiete einleiten. Im DEKOM – Interview erklärt die nordrheinwestfälische Landtagsabgeordnete und Sprecherin der SPD-Fraktion in der Enquete-Kommission Wasser, Julia Kahle-Hausmann, wie es derzeit grundsätzlich um die Wasserqualität in NRW bestellt ist und wie der Zubau einer vierten Reinigungsstufe in NRW vorankommt.
DEKOM: Frau Kahle-Hausmann, die wichtigste Frage zu erst. Wie gut ist unser Trinkwasser in NRW?
Julia Kahle-Hausmann: Die Trinkwasserqualität in Nordrhein-Westfalen ist hoch. Und das ist bei unserem wichtigsten Lebensmittel auch richtig. Ziel muss es immer sein, den höchstmöglichen Standard zu erreichen. Das gilt auch bei der Reduktion von Mikroschadstoffen. Hier müssen wir den Standard der Reinigung hochhalten und weiter verbessern. Wichtiger ist es aber noch zu verhindern, dass diese Stoffe in unser Wasser gelangen. Dabei ist noch Luft nach oben, beispielsweise mit alternativen Prozesstechniken in Betrieben oder End-of-Pipe-Lösungen. Auch auf Genehmigungen zur Einleitung von chemischen Verbindungen aus Pharmazie und Industrie müssen wir viel stärker schauen. Was gar nicht erst eingeleitet wird, macht weniger Ärger, als Stoffe, die mühsam – und viel zu oft auf Kosten der Allgemeinheit – wieder rausgefiltert werden.
DEKOM: Wie eingangs erwähnt, sieht die EU-Kommunalabwasserrichtlinie sukzessive den Zubau der vierten Reinigungsstufe auf kommunalen Kläranlagen vor. Wie ist da der aktuelle Stand in NRW?
Julia Kahle-Hausmann: Auch in NRW läuft die Einführung einer vierten Reinigungsstufe an. Allerdings zeigen die Zahlen, dass das Land mehr Tempo braucht, um den selbst gesetzten Maßnahmenplan für die Wasserrahmenrichtlinie bis 2027 zu erfüllen. Für 101 Kläranlagen ist die vierte Reinigungsstufe vorgesehen. Umgesetzt oder in konkreter Planung ist sie jedoch nicht mal bei der Hälfte der Werke. Notwendig ist mehr Nachdruck, um die eigenen Ziele zu erreichen.
DEKOM: Gibt es bereits entsprechende Förderprogramme oder sind welche geplant?
Julia Kahle-Hausmann: In der Förderung gibt es vor allem eine große Lücke – die Finanzen der Kommunen. Viele Städte und Gemeinden können angesichts knapper Kassen den immer noch hohen Eigenanteil bei der Ertüchtigung der Klärwerke kaum zahlen. Abermals zeigt sich, dass wir eine grundständige Lösung der Altschuldenproblematik benötigen. Sonst stoßen wir nicht nur bei den Klärwerken, sondern bei vielen Infrastrukturprojekten im Bereich Wasser immer wieder an die gleichen monetären Grenzen.
DEKOM: Das Land Rheinland-Pfalz fördert im Rahmen der Pilotprojekte für die 4. Reinigungsstufe bevorzugt Verfahren und Technologien die in Rheinland-Pfalz entwickelt werden. Hier in NRW wird die Halbtechnische Versuchskläranlage Neuss gerade geschlossen. Viele Ingenieurbüros und auch Startups beklagen das, weil dadurch die ohnehin schwierige Erprobung der Alltagstauglichkeit neuer Technologien zusätzlich erschwert wird. Warum wird die einzige Versuchskläranlage in NRW gerade jetzt geschlossen?
Julia Kahle-Hausmann: Die Schließung der Versuchskläranlage in Neuss ist bedauerlich, da dies die Erprobung neuer Technologien erschwert. Es ist unklar, warum diese Schließung zum jetzigen Zeitpunkt erfolgt. Jedoch geht in jedem Fall das falsche Signal davon aus. Denn gerade mit Blick auf die Klimakrise brauchen wir Forschung, um unser gesellschaftliches Leben wasserverträglich zu gestalten.
DEKOM: Wissen Sie, ob auch in NRW – analog zu Rheinlandpfalz – Verfahren, die hierzulande entwickelt wurden, bevorzugt werden sollen/können?
Julia Kahle-Hausmann: Natürlich gehört heimische Forschung und Technik gefördert, die Wissenschaftslandschaft in NRW ist Weltklasse. Doch wichtige Forschungsprojekte finden international und weit über Landesgrenzen hinaus statt. Daher sollte der Anspruch für NRW sein, vor allem die technisch besten Lösungen zur Anwendung zu bringen. Die Landesregierung ist hier gefragt, die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass Best-practice-Anwendungen möglichst aus NRW stammen.
DEKOM: Wie kommen Innovationen von Hochschulen oder Startups in NRW an die Kläranlagen?
Julia Kahle-Hausmann: Hier ist auch das Land NRW in koordinierender Rolle gefragt. Zur entstehenden Wasserstrategie der Landesregierung muss es auch gehören, den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis weiter zu verbessern. Akteure auf allen Ebenen haben enorme Motivation, Innovationen nach vorne zu bringen. Politik kann und muss hierfür eine gemeinsame Plattform schaffen und eine schnelle Umsetzung in die Praxis ermöglichen.
DEKOM: Eine vierte Reinigungsstufe kostet vergleichsweise viel Geld. Die EU-Kommunalabwasserrichtlinie hebt bei der Finanzierung in der aktuellen Version auf das Verursacherprinzip ab. Halten Sie das für praktikabel?
Julia Kahle-Hausmann: Es gibt verschiedene Modelle, den Ausbau zu finanzieren. Die EU hat sich auf den 80/20-Grundsatz fokussiert, um das Verursacherprinzip zu stärken. Das ist der richtige Weg. Denn es muss immer gelten: Wer Wasser verschmutzt, zahlt dafür auch. Wenn wenige die Gewinne erwirtschaften, aber viele die Kosten tragen, ist das nämlich nicht gerecht. Der Umbau der Wirtschaft hin zu mehr Umweltverträglichkeit ist dabei eine Generationenaufgabe, bei der die Wirtschaft selbst sich nicht rarmachen darf. Genauso wichtig bleibt dabei das Vorsorgeprinzip. Hierbei wollen wir Verschmutzungen im Vorhinein verhindern, um Folgekosten zu reduzieren.
Vielen Dank. (DEKOM, 07.10.2024)