Städtepartnerschaften können eine Schlüsselrolle im EU-Integrationsprozess spielen

Deutsche Kommunen unterhalten mehr als 2.000 internationale Partnerschaften mit Städten und Gemeinden in aller Welt. Städtepartnerschaften gelten als bewährtes Instrument der „Urban Diplomacy“. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollten sie dazu beitragen, Deutschland zu demokratisieren und noch heute sind sie der Versuch einer internationalen Völkerverständigung. Ganz besondere Bedeutung kommt Partnerschaften gerade auch im Zusammenhang mit dem europäischen Integrationsprozess der aktuellen EU-Beitrittskandidaten zu. Vor diesem Hintergrund haben wir uns mit Nina Fučec unterhalten, die für den Bereich internationale Zusammenarbeit bei der Kommunalverwaltung der Bosnisch-Herzegowinischen Hauptstadt Sarajevo zuständig ist.

DEKOM: Frau Fučec, die Stadt Sarajevo pflegt 34 internationale Städtepartnerschaften, darunter drei mit deutschen Städten. Städtepartnerschaften sind im Wesentlichen auf den interkulturellen und wirtschaftlichen Austausch fokussiert. Wie werden diese Partnerschaften konkret umgesetzt?

Nina Fučec: Die Partnerschaften werden vor allem durch kulturellen Austausch, universitäre Kooperationen, Zusammenarbeit zwischen Musikakademien und Schulen sowie durch wirtschaftliche Kooperationen umgesetzt. Darüber hinaus gibt es einen Austausch in Bereichen wie der Energieeffizienz und dem Management von Energie in Städten, insbesondere mit Städten wie Freiburg und Magdeburg. Weitere Aktivitäten beinhalten den Austausch von touristischen Informationen, die Zusammenarbeit zwischen Theatern und die Unterstützung im Bereich der kommunalen Dienstleistungen.

DEKOM: Gibt es konkrete Beispiele für diese Kooperationen?

Nina Fučec: Ja, es gibt mehrere Beispiele. Zum Beispiel wurde die Partnerschaft zwischen Sarajevo und Friedrichshafen 1972 durch ein Freundschafts- und Kooperationsabkommen besiegelt. Während und nach dem Krieg hat Friedrichshafen Sarajevo durch verschiedene Formen der Hilfe unterstützt, etwa durch die finanzielle Unterstützung des Gesundheitszentrums „Omer Maslić“ und den Bau eines Aufzugs für das Zentrum im Jahr 2021. Zudem hat die Stadt Magdeburg, die seit 1977 mit Sarajevo partnerschaftlich verbunden ist, ebenfalls in der Zeit nach dem Krieg viele Projekte zur Stadtentwicklung und im Bereich Kultur und Bildung initiiert. Besonders hervorzuheben ist die Ausstellung „Überwunden“ im Jahr 2017, die zum 40-jährigen Jubiläum der Städtepartnerschaft stattfand.

DEKOM: Und wie hat sich die Partnerschaft mit Wolfsburg entwickelt?

Nina Fučec: Die Partnerschaft zwischen Sarajevo und Wolfsburg begann 1985 und wurde nach dem Krieg mit einem Fokus auf Wirtschaft und Kultur fortgeführt. Besonders erwähnenswert ist das Projekt „Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung“, das 2017 ins Leben gerufen wurde und die Umsetzung der UN-Agenda 2030 unterstützt. Auch der Austausch von Schülern zwischen der Elektrofachschule Sarajevo und der BB2 Berufsschule in Wolfsburg hat zu einem besseren Verständnis des dualen Ausbildungssystems geführt.

DEKOM: Angesichts der EU-Integration Bosnien und Herzegowinas, welche Rolle spielen Städtepartnerschaften im Hinblick auf die notwendigen Reformen und Anpassungen?

Nina Fučec: Städtepartnerschaften können eine Schlüsselrolle im EU-Integrationsprozess spielen. EU-Städte können wertvolle Erfahrungen und Best Practices teilen, die Bosnien und Herzegowina helfen, die Anforderungen für den EU-Beitritt zu erfüllen. Dies kann in Form von gemeinsamen Projekten geschehen, bei denen EU-Städte Sarajevo und anderen Städten in Bosnien und Herzegowina bei der Umsetzung von Verwaltungsreformen, der Verbesserung der Infrastruktur und der Förderung nachhaltiger Entwicklung unterstützen können. Der Austausch von Fachwissen und der Zugang zu EU-Fördermitteln sind ebenfalls ein bedeutender Vorteil.

DEKOM: Beeinflusst der EU-Integrationsprozess auch die Städtepartnerschaften? Wenn ja, wie?

Nina Fučec: Ja, der EU-Integrationsprozess beeinflusst die Städtepartnerschaften durchaus. Städte in Bosnien und Herzegowina könnten verstärkt an Partnerschaften mit EU-Städten interessiert sein, um Unterstützung bei der Angleichung an EU-Standards zu erhalten. EU-Städte wiederum könnten ein größeres Interesse an einer engeren Zusammenarbeit mit Städten aus Bosnien und Herzegowina zeigen. Zudem eröffnet die EU-Integration neue Möglichkeiten für die gemeinsame Finanzierung von Projekten, vor allem durch EU-Förderprogramme, was die Zusammenarbeit noch weiter vertiefen kann.

DEKOM: Wie wird die Städtepartnerschaft aus der Perspektive der Stadt Sarajevo finanziert? Gibt es spezielle Budgets oder Förderungen?

Nina Fučec: Die Stadt Sarajevo hat im Budget bestimmte Mittel für internationale Kooperationen vorgesehen. Diese Mittel werden für kulturelle Veranstaltungen, die Organisation von Delegationsbesuchen und für die Unterstützung von Besuchen in Partnerstädten genutzt. Die Stadt plant auch Ressourcen für die Förderung von Partnerschaften und für die Organisation von Veranstaltungen, die den Austausch mit Schwester- und Freundschaftsstädten stärken.

DEKOM: Glauben Sie, dass mehr Unterstützung benötigt wird, etwa von Seiten der EU oder von Unternehmen und Verbänden?

Nina Fučec: Ja, zusätzliche Unterstützung von der EU und der Privatwirtschaft könnte die Partnerschaften erheblich verstärken. Diese Unterstützung würde nicht nur helfen, Kooperationen zu intensivieren, sondern auch die lokale Verwaltung und die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern. Insbesondere könnten EU-Fonds wie der IPA-Topf für prä-beitrittsfinanzierte Projekte eine wertvolle Quelle zur Finanzierung von Städtepartnerschaften sein.

DEKOM: Was wünschen Sie sich von der deutschen Seite, um diese Partnerschaften noch erfolgreicher zu gestalten?

Nina Fučec: Die deutsche Seite kann auf verschiedene Weisen zur Stärkung der Partnerschaften beitragen. Einerseits wäre es hilfreich, wenn deutsche Städte und Institutionen Sarajevo Zugang zu EU-Fördermitteln wie Horizon Europe oder Erasmus+ ermöglichen würden. Auch Spenden oder Sponsorings von deutschen Unternehmen und Organisationen für spezifische Projekte in Sarajevo wären ein wichtiger Beitrag. Zudem könnte Deutschland durch Fachkräfte und technische Unterstützung helfen, die Verwaltung in Sarajevo zu modernisieren und bewährte Praktiken im Bereich Stadtplanung und nachhaltige Entwicklung zu vermitteln. Schließlich könnten deutsche Wirtschaftsverbände Sarajevo mit deutschen Investoren und Unternehmern vernetzen, um neue wirtschaftliche Partnerschaften zu fördern.

DEKOM: Vielen Dank!

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