Über 10.000 Städte und Gemeinden in Deutschland sehen sich vor der Aufgabe, ihre Energiezukunft selbst in die Hand zu nehmen. Aber wie können sie ein klimaneutrales Energiesystem entwickeln? Um bei der Entscheidungsfindung Orientierung zu bieten, stellen Forscherinnen in Berlin heute Handlungsempfehlungen zur Unterstützung kommunaler Akteure vor. Im Forschungsprojekt „Partizipation im digitalisierten Energiesystem durch soziale Innovationen“ (PaDiSo) hat ein Team des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), des Zentrums Technik und Gesellschaft der Technischen Universität Berlin und des Vereins Energieavantgarde Anhalt drei Jahre lang Kommunen in Sachsen-Anhalt begleitet. Mit der Handreichung „Die regionale Energiewende gestalten“ richten sich die Wissenschaftlerinnen nun an Entscheidungstragende in Kommunen und geben ihnen praxisrelevante Erkenntnisse für die lokale Energiewende an die Hand. Sie zeigen auf, welche neuen Denk- und Handlungsweisen oder Organisationsformen mit der Energiewende verbunden sind. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der beteiligten Kommunen aus der Region Anhalt-Bitterfeld-Dessau-Wittenberg betonen, dass der interkommunale Austausch, die wissenschaftliche Unterstützung und das Lernen von Vorbildern für ihre kommunale Entwicklung wichtige Impulse geben. Das Vorhaben wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert. „Das Energiesystem vor Ort zu transformieren, ist komplex“, so die Nachhaltigkeitsforscherinnen Friederike Rohde und Sabine Hielscher vom IÖW. „Der Zeitdruck ist groß, doch die Bedingungen für raschen Wandel sind nicht überall gegeben – im Gegenteil gibt es auch Beharrungstendenzen. Hier müssen Kommunen neu denken, neu organisieren und neu handeln. Unsere Forschung mit Praxisakteuren zeigt: Auch Verwaltungen und Kommunen sind schon seit vielen Jahren innovativ. Und sie sind offen, andere an ihren Erfahrungen teilhaben zu lassen.“ Das Forschungsteam erarbeitete gemeinsam mit Kommunen Unterstützungsformate. Zwei Fallstudien aus der Harzregion zeigen auf, welche Bedingungen eine gelungene Energietransformation begünstigen. „Die Kommunen brauchen das Rad nicht neu zu erfinden. Um die Energiewende flächendeckend umzusetzen, helfen vor allem strategische Nachahmungen von guten Beispielen, die an die jeweiligen kommunalen Umstände angepasst sind“, erklären Catharina Lüder und Emilia Nagy vom Zentrum Technik und Gesellschaft der TU Berlin. Im Projekt wurde eine interaktive Karte erstellt, die soziale Innovationen im Energiesystem aus ganz Deutschland darstellt. Über 100 Steckbriefe von Initiativen bieten Inspiration und können von Kommunen genutzt werden, um direkt Kontakt aufzunehmen, Nachfragen zu stellen und in den Austausch zu treten. „Der Fundus an Handlungsoptionen für Kommunen ist groß und Kommunen können durch Kooperationen mit Akteuren vor Ort, die zielgerichtete Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern sowie gegenseitiges Lernen viel bewegen“, so Lüder. Wenn Kommunen vor Ort Flächen zur Erzeugung von Wind- oder Solarenergie ausweisen, erhalten sie oftmals Anfragen von Projektierern, die Standorte für ihre Vorhaben sichern möchten. Die Zahl dieser Anfragen hat sich in den letzten Jahren stark erhöht, auch im Zuge der Energiekrise. „In dieser Vielzahl von Angeboten seriöse zu erkennen und abzuschätzen, welche die lokale Wertschöpfung stärken und die größtmöglichen Vorteile für Bürgerinnen und Bürger und die Kommune insgesamt bieten, kann eine Herausforderung darstellen“, sagt Thies Schröder vom Verein Energieavantgarde Anhalt. Mit zwölf Schlüsselfragen auf dem Weg zur energiesouveränen Kommune hat das PaDiSo-Team daher für Kommunen einen Wegweiser für Gespräche mit Projektierern von Erneuerbare-Energie-Anlagen entwickelt. Die Fragen wurden gemeinsam mit Kommunalvertreterinnen und -vertretern in kommunalen Lernwerkstätten erarbeitet. „Um Austausch und Vernetzung zu fördern, haben wir das Format ‚kommunale Lernwerkstätten‘ entwickelt und in Sachsen-Anhalt erprobt“, so Anna Hülle von der Energieavantgarde Anhalt. „In drei aufeinanderfolgenden Terminen kamen Akteure vor Ort zum lösungsorientierten Austausch zusammen, um voneinander zu lernen und ihre kommunale Handlungsfähigkeit zu stärken. Die Methode haben wir umfassend dokumentiert. Nachmachen ist ausdrücklich erwünscht und empfohlen.“ (IÖW, 13.11.2024)